Veranstaltung: | Helfen heißt Verantwortung übernehmen |
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Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 19.07.2020, 22:26 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A1NEU: Helfen heißt Verantwortung übernehmen
Antragstext
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie zwingen den Staat zu wirtschaftlichen
Stützungsmaßnahmen. Dieses Eingreifen ist richtig, darf aber nicht zur
Herstellung des Status quo ante führen. Politisches Handeln ist nicht neutral
und kann es auch in diesem Fall nicht sein – ein Staat, der sich den Pariser
Klimazielen und den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen
verpflichtet hat, darf diese bei Konjunkturmaßnahmen nicht unterlaufen. Im
Gegenteil, er hat die Chance und die Pflicht, diese Ziele aktiv zu verfolghen.
„Do no harm“ reicht nicht aus, wenn Hunderte von Milliarden Euro an
Finanzmitteln freigesetzt werden, sie müssen die gesellschaftliche
Transformation zu den selbst gesteckten Zielen voran bringen. Diesen
Anforderungen wird das von der Bundesregierung im Juni 2020 geschnürte
Konjunkturpaket nicht gerecht – Klimaschutz, Nachhaltigkeit und konjunkturelle
Impulsprogramme stärker zusammen denken ist das Gebot der Stunde! Wir als BAG
Wirtschaft und Finanzen sind der Auffassung, dass sich staatliches Eingreifen
zur konjunkturellen Stabilisierung an fünf zentralen Kriterien messen lassen
muss, von denen einige in der öffentlichen Debatte bislang zu kurz kommen.
Konjunkturhilfen transformativ gestalten
Es ist essenziell, dass Programme, die die Konjunktur in Deutschland und Europa
zu stimulieren versuchen, tatsächlich transformativ wirken und insbesondere der
Erreichung der Pariser Klimaziele und der Ziele der UN Agenda 2030 („Social
Development Goals“) dienen. Sie müssen die besonders betroffenen unteren
Einkommen zielgerichtet entlasten, sowie die europäische und globale Solidarität
fördern.
Pauschale Konsumanreize zum Beispiel haben keine zielgerichtete transformative
Wirkung. Stattdessen gibt es zahlreiche sinnvolle Ideen, wie nachhaltige
Investitionen in den Bereichen Energie, Industrie, Verkehr, Bauen und
Landwirtschaft gefördert werden können, die Deutschland und Europa den Weg in
eine zukunftsfähige Wirtschaft ebnen können. Rückwärtsgewandte
Wirtschaftsbereiche, etwa im Bereich fossiler Technologien, müssen dagegen
konsequent ausgebremst werden. Es ist auf allen Ebenen Klarheit zur Richtung der
wirtschaftlichen Transformation zu schaffen!
Der Green Deal der Europäischen Kommission ist ambitioniert und sollte von
Grüner Politik unterstützt werden. Alle nationalen Konjunkturpakete sollen mit
dem EU Green Deal in Einklang gebracht werden. Wo möglich sollte auch der €750
Mrd. Next Generation EU-Plan der Kommission für die Umsetzung des Green Deal
nutzbar gemacht werden.
Durch die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen könnten öffentliche
Haushalte jährlich geschätzt über €50 Mrd. einsparen. Hunderte Milliarden
entgehen Deutschland und Europa jedes Jahr durch die Toleranz von Steueroasen
und – Schlupflöchern. Diese Mittel können, ganz ohne neue Schuldenaufnahme, die
Investitionen zugunsten einer sozial-ökologischen Transformation finanzieren.
Eine gerechtere Verteilung der
Einkommensstützen
Die Bundesregierung hat zahlreiche Erleichterungen für Kurzarbeit beschlossen.
Diese Leistungen werden jedoch nicht vom Bundeshaushalt finanziert, sondern von
jenen, die Beiträge bezahlen. Zwar hat die Bundesagentur für Arbeit erhebliche
Rücklagen, aber untere Einkommen tragen hier viel mehr bei als zu
Steuereinnahmen: Nicht nur zahlen auch niedrige Einkommen den festen
Beitragssatz ab dem ersten Euro, sondern die Beitragsbemessungsgrenze sorgt
dafür, dass höhere Einkommen prozentual sogar weniger zahlen als niedrige
Einkommen. Die Bevölkerungsteile mit geringen Einkommen müssen gezielt entlastet
werden.
Die Corona-Krise hat zu Ausgaben von über 30 Milliarden Euro geführt, die
teilweise auf die Ausweitung der Unterstützung zurückgehen (Einkommenshilfen
wurden aufgestockt und der Arbeitgeberbeitrag übernommen). Es ist nicht gerecht,
dass diese spezifischen Corona-Maßnahmen überproportional von niedrigen
Einkommensschichten gestemmt werden.
Auch darüber hinaus sind von den Auswirkungen der Krise Gering- und
Durchschnittsverdiener, die häufig in Kurzarbeit oder ganz arbeitslos geworden
sind, deutlich stärker betroffen als Besserverdienende und Vermögende, die
zumeist lediglich ihren Arbeitsort verlegt haben. Das muss sich auch in der
Frage der Lastenteilung von staatlichen Ausgaben widerspiegeln und wird somit zu
einer Verteilungsfrage: Zur Bewältigung der Corona-Krise muss auch eine
Verlagerung der hohen Steuer- und Abgabenlast von geringen und mittleren
Einkommen hin zu Spitzeneinkommen, Erbschaften und Ressourcen gehören. Eine
einmalige Vermögensabgabe kann ebenfalls ein zielführendes Instrument sein,
damit die Corona-Pandemie die ohnehin große Ungleichheit in unserer Gesellschaft
nicht noch verstärkt.
Effektive Überlebenshilfen für KMUs
Die unmittelbare Reaktion des Bundes und vieler Länder auf die Corona-bedingten
Herausforderungen von KMUs war größtenteils angemessen: rasche und
unbürokratische Kreditlinien zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen. Je
länger die Corona-Krise jedoch andauert, desto weniger zielführend werden diese
Art von KMU-Liquiditätshilfen, da die Gefahr der bilanziellen Überschuldung
wächst.
Um eine Welle von Insolvenzen zu verhindern und Arbeitsplätze zu sichern, ist
auf Wunsch der Unternehmen eine Umwandlung von notleidenden KMU-Krediten in
stille Beteiligungen oder Kredite mit unbegrenzter Laufzeit, qualifiziertem
Nachrang und Sondertilgungsoptionen vorteilhaft. Eine Wandlung von Fremd- in KMU
Eigenkapitalbeteiligungen bzw. in unbefristetes Fremdkapital muss an
Vereinbarungen über ein nachhaltiges Wirtschaften gekoppelt sein.
Falls KMUs auch nach dieser zweiten Chance die Insolvenz nicht abwenden können,
wird der Staat einen Verlust machen. Zur fairen Finanzierung der Verluste sollte
ein transparenter Fonds aufgebaut werden, der diese Verluste möglichst durch
Gewinne aus Dividenen udn Anteilsrückkäufen ausgleicht. Sollte dies nicht
ausreichen, können zum Ausgleich Aufschläge auf Unternehmen- oder
Vermögensteuern erhoben werden. In Frankreich gibt es bereits seit 25 Jahren
eine vergleichbare Institution.
Für viele kleine Dienstleistungsbetriebe (z.B. Gastronomie, Bühnen, Friseure
usw.) stellten behördlich angeordnete Schließungen eine besondere
Herausforderung dar, weil Mietkosten für die Gewerberäume trotz zwangsweise
fehlenden Umsatzes weiterhin voll anfielen. Das kann sich an Corona-Brennpunkten
wiederholen.Hier muss die Bundesregierung eine angemessene Lösung in
Zusammenarbeit mit der Immobilienwirtschaft finden und sie für die Zeit der
Zwangschließung zu einer Mietzinssenkung verpflichten (z.B.
Kontrolle bei Aktiengesellschaften nutzen
In größeren Unternehmen, an denen der Staat beteiligt ist, muss der Staat seine
Verantwortung wahrnehmen. Stille Beteiligungen sind hier nicht sinnvoll. Der
Staat geht als Kapitalgeber erhebliche Risiken ein. Deshalb dürfen Steuermittel
nicht zur Stützung angeschlagener Konzerne verwendet werden, ohne den Schutz des
Gemeinwohlinteresses an oberste Stelle zu setzen. Stattdessen sollten diese
Unternehmen nach ESG-Kriterien umgewandelt werden.
Steuervermeidungsstrategien müssen ebenso ausgeschlossen werden wie
Aktienrückkäufe oder Dividendenzahlungen oberhalb der Inflationsrate, solange
die staatliche Beteiligung andauert. Für Managergehälter empfehlen sich
Deckelungen. Eine verbindliche Verpflichtung zu klimafreundlicherem, sozial-
ökologischem Wirtschaften mit nachprüfbaren Performance Indikatoren und
Sanktionsmechanismen muss eine weitere Verpflichtung sein.
Im Hinblick auf Corporate Governance-Kriterien gehört zu einer Deckelung der
Vorstands- und Aufsichtsratsentlohnungen auch die Einführung und Umsetzung eines
Plans zur Förderung von Frauen in Führungspositionen und ggf. zur Stärkung der
Mitbestimmung im Unternehmen.
Für Teilnehmer an globalen Wertschöpfungsnetzen sind die Kriterien des geltenden
Corporate-Governance-Kodex auf Supply Chain Governance zu erweitern.
Insbesondere ist die Verantwortung deutscher Unternehmen für solche Lasten
durchzusetzen, die von Personen getragen werden, die im Ausland zum
wirtschaftlichen Erfolg deutscher Handelspartner beitragen, aber dennoch von
Verhandlungen ausgeschlossen sind oder nicht ausreichend beteiligt werden. In
erster Linie ist dazu die Einführung verbindlicher und sanktionsbewehrter
menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten erforderlich.
Funktionsfähigkeit von Kommunen sichern
Kommunen erbringen bei u.a. Gesundheits- und Mobilitätsinfrastruktur, Bildung
und Kultur tagtäglich spürbare staatliche Leistung mit zentraler Rolle für die
Bürger*innen.
Maßnahmen des Bundes welche den Erhalt der kommunalen Tragfähigkeit zum Ziel
haben, müssen daher sowohl alle Corona-bedingte Haushaltsmindereinnahmen
(Steuermindereinnahmen wie auch Verluste bei den Kita-Beiträgen), als auch
Mindereinnahmen der kommunalen Unternehmen in den Blick nehmen. Hinzu kommen
Corona-bedingt Ausgabensteigerungen, bspw. bei den Sozialausgaben, Soforthilfen
für Kulturschaffende, etc.
Da die Kommunen in der Regel ihre Schuldenbremse nicht wie der Bund
konjunkturbedingt lockern können, sind klare Regelungen für Bundeshilfen über
das Jahr 2020 hinaus dringend erforderlich, inbesondere für die Jahre 2021 und
2022, um eine Haushaltsaufstellung ohne prozyklische Ausgabenkürzungen zu
ermöglichen. Kommunale Träger organisieren dabei oft Pflege, Gesundheit und
soziale Dienstleistungen deren Beschäftigte gerade in der Corona-Krise Großes
geleistet haben aber gering entlohnt werden. Investitionen in Bildung und
Gesundheit zahlen sich für das Gemeinwohl aus, motivierte und gerechte Bezahlung
gehört dazu. Staatliche Unterfinanzierung[1] des Bildungssystems in Deutschland
ist nicht weiter hinzunehmen. Staatliche Einrichtungen des Gesundheitswesens
können und sollten mit Qualitätsoffensiven, menschlichen Arbeitsbedingungen und
Digitalisierung zu Zukunftsfähigkeit voranschreiten.
[1] Quelle: Eurostat: Online-Datenbank: Öffentliche Ausgaben für Bildung in %
des BIP (03/2019), Öffentliche Ausgaben für Bildung in jeweiligen Preisen
(09/2018)
Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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